Veranstaltung: | Bundesdelegiertenversammlung 2024 |
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Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | BDV 2024 |
Beschlossen am: | 26.10.2024 |
Antragshistorie: | Version 5 |
Gewalt an Frauen stoppen - Femizide verhindern!
Beschlusstext
Die Bundesdelegiertenversammlung möge beschließen:
Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu – in Deutschland und weltweit. Sie tritt als
verbale, physische, psychische, sexualisierte oder wirtschaftliche Gewalt auf.
Hinzu kommen Phänomene wie Cybermobbing, digitale Belästigung und Überwachung
sowie sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe.
Diese Gewalt gegen Frauen reicht auch in Deutschland bis zum Femizid. Femizide
bzw. Feminizide stellen extreme Formen der Gewalt gegen Frauen dar. In
Deutschland werden etwa alle zwei Tage Femizide verübt, weltweit alle elf
Minuten. Es sind die zugrundeliegenden gesellschaftlichen und patriarchalen
Strukturen, die diese Taten erst ermöglichen.
Gewalt gegen Frauen in allen ihren Formen richtet sich gegen die in Art. 1 GG
verankerte Menschenwürde und die Aussagen der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte der Vereinten Nationen. Deutschland hat sich mit der
Ratifizierung der Istanbul-Konvention verpflichtet, Gewalt gegen Frauen auf
allen Ebenen zu bekämpfen. Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, ist deswegen eine
Aufgabe, die die Gesellschaft als Ganze angeht. Es ist ein grundlegender
gesellschaftlicher Wandel hin zu wirklicher Gleichberechtigung und eine Stärkung
des Selbstbestimmungsrechts von Frauen erforderlich!
Gewalt gegen Frauen hat strukturelle Ursachen. Ungleiche Machtverhältnisse
zwischen Männern und Frauen, kulturelle Prägungen, wirtschaftliche
Abhängigkeiten und Geschlechterstereotype, die vermeintlich „natürliche“
Asymmetrien verfestigen, gehören dazu. Damit Gewalttaten an Frauen in deren
Ursachen bekämpft werden können, müssen die Narrative und Frauenbilder
aufgedeckt werden, die die Menschenwürde der Frauen untergraben (1):
In der Theologie wird Weiblichkeit traditionell mit Werten wie aufopfernder
Liebe, Akzeptanz des Leidens, Demut, Schweigen und Annahme der Zweitrangigkeit
verbunden. Es ist eine misogyne Strategie lehramtlicher Äußerungen, „die Frau“
(2) im Sinne der Fürsorge für Andere zu würdigen und durch diese Charakterzüge
zu definieren. Damit werden bestimmte Gender-Rollen beschrieben, die bis heute
von Papst Franziskus und kirchlichen Personen und Institutionen weitergetragen
werden. Die vermeintlich biblischen Wurzeln eines enggeführten Frauenbildes
liegen in der Dämonisierung Evas, die einseitig als Verführerin gelesen wird. So
formuliert etwa der Kirchenlehrer Ambrosius von Mailand: „Da die Frau den Mann
zur Sünde verführt hat, erfordert es die Gerechtigkeit, dass sie den Mann
empfange wie der Sklave den Herrn.“ Dem Bild der Eva steht polarisierend das
Ideal der Jungfrau und Mutter Maria gegenüber: ein Ideal, das keine Frau
erreichen kann. So bleibt sie, oft auch in ihrer Selbstwahrnehmung, defizitär,
mangelhaft. (3) Auch die lange verbreitete Deutung von Gen 1,26-27 dahingehend,
dass ausschließlich Adam als Ebenbild Gottes geschaffen wurde, dient der
kirchlichen Abwertung von Frauen. Die skizzierten Narrative von Weiblichkeit
implizieren eine wesensgemäße Unterscheidung der Geschlechter.
Gesamtgesellschaftlich nehmen rechtspopulistische Bewegungen und
maskulinistische Ideologien zu und tragen zur Verharmlosung und Verschleierung
der strukturell bedingten Gewalt gegen Frauen bei, indem sie ein
rückwärtsgewandtes Frauenbild propagieren und diskriminierende Einstellungen
fördern.
Um vulnerable Gruppen besonders zu schützen, muss ein spezielles Augenmerk auf
Frauen mit Migrationshintergrund, Behinderungen, LGBTIQ+-Personen sowie Frauen
in prekären Lebenssituationen oder Krisengebieten, die aufgrund zusätzlicher,
z.T. gesetzlich manifestierter Diskriminierungen und erschwertem Zugang zu
Unterstützung besonders gefährdet sind, gerichtet werden.
Ein Bereich, in dem Frauen besonders häufig Gewalt erfahren, ist der soziale
Nahraum, insbesondere im eigenen Haushalt oder durch (frühere) Partner.
Trennungen sind für gewaltbetroffene Frauen besonders riskant, wenn es für
gemeinsame Kinder ein gemeinsames Sorgerecht gibt oder fortgesetzter
Umgangskontakt besteht. In diesen Fällen kann der gewaltausübende Partner
versuchen, durch fortgesetzte Gewalt die Kontrolle über die Frau und die Kinder
zurückzugewinnen. Auch hier sind gezielte Maßnahmen zum Schutz der betroffenen
Frauen und Kinder notwendig.
Um Gewalt gegen Frauen wirksam zu bekämpfen, fordert der Katholische Deutsche
Frauenbund (KDFB) die Verantwortlichen in der Politik auf, die Istanbul-
Konvention vollständig umzusetzen. Wesentliche Maßnahmen, um Gewalt an Frauen zu
verhindern, sind für den KDFB:
Im Bereich Prävention und Aufklärung
- Förderung von Initiativen, die die Gleichstellung der Geschlechter in
allen gesellschaftlichen Bereichen vorantreiben und bestehende
Diskriminierungen abbauen.
- Umfassende Strategien zur Täterarbeit als präventive Maßnahme zur
Vermeidung weiterer Gewalttaten.
- Flächendeckende Bildungsprogramme in Schulen und Gemeinden sowie breit
angelegte Aufklärungskampagnen, um die Öffentlichkeit über die
verschiedenen Formen von Gewalt gegen Frauen aufzuklären und Mythen sowie
Stereotype zu entkräften.
- Verpflichtende Fortbildungen, insbesondere von Polizei, Jugendämtern,
Familienrichter*innen, Staatsanwaltschaft, Verfahrensbeistand,
Gutachter*innen an der Schnittstelle von Gewaltschutz und Umgangsrecht zu
Formen häuslicher Gewalt und ihrer Dynamiken. Reformen im Kindschaftsrecht
und in familiengerichtlichen Verfahren müssen tatsächlich wirksame
gesetzliche Regelungen etablieren. (4)
- Förderung der Dunkelfeldforschung zur besseren Erfassung und Bekämpfung
von Gewalt gegen Frauen, einschließlich der Aufklärung über digitale
Privatsphäre.
Stärkung der rechtlichen Rahmenbedingungen
- Etablierung einer bundesweiten Koordinierungsstelle zur Umsetzung der
Istanbul-Konvention.
- Weiterführung des Runden Tisches auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene
zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Femiziden, um Vertreter*innen
von Behörden, NGOs, Frauenhäusern und Polizei zu vernetzen, Ressourcen zu
bündeln und effektive, bedarfsgerechte Lösungen zu entwickeln.
- Zeitnahe Einführung eines Gewalthilfegesetzes mit einheitlichen Regelungen
und Finanzierungsmöglichkeiten, um regionale Unterschiede zu überwinden
und ein kohärentes System zur Gewaltprävention und -bekämpfung zu
schaffen. (5)
- Einführung eines durchsetzbaren und individuellen Rechtsanspruchs auf
Schutz, Hilfe und Unterstützung für gewaltbetroffene Frauen,
einschließlich eines kostenlosen und transparenten Zugangs zu
unterstützenden Einrichtungen. Dies umfasst auch die Gewährleistung eines
eigenständigen Aufenthaltsrechts für von Gewalt betroffene Frauen und ihre
Kinder, unabhängig vom Bestehen oder der Beendigung der ehelichen
Lebensgemeinschaft.
- Die bundesweite Einführung der elektronischen Fußfessel zur Einhaltung und
Überprüfung von Näherungsverboten.
- Klare Feststellung, dass der Femizid strafrechtlich grundsätzlich unter
§211 StGB und die dort aufgelisteten Mordmerkmale subsumiert wird.
Tötungen dürfen, weil sie in einer Partnerschaft begangen werden, nicht
milder bewertet werden als außerhalb der Beziehung begangene Taten. In den
meisten Fällen handelt es sich um gezielte Morde.
- Klarstellung im Familienrecht, dass das Umgangsrecht des gewaltausübenden
Elternteils hinter den Schutz von Kindern sowie des gewaltbetroffenen
Elternteils zurückstehen muss. (6)
Ausbau von Hilfsangeboten und Schutzmaßnahmen
- Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel für ein flächendeckendes
Hilfe- und Unterstützungssystem, einschließlich Notruftelefonen,
Frauenhausplätzen, spezialisierten Schutzunterkünften sowie
Barrierefreiheit in allen Regionen, so dass Bedürfnisse von Frauen und
Mädchen in all ihrer Vielfalt abgedeckt werden – auch im ländlichen Raum.
- Ausbau und Finanzierung spezialisierter Fachberatungsstellen insbesondere
zu digitaler Gewalt.
- Gesetzliche Voraussetzungen für eine Erstattung der Kosten von
medizinischen Schutzmaßnahmen für Betroffene von Gewalt zu schaffen, d.h.
auch für Fälle nach dem 22. Lebensjahr die kostenlose Bereitstellung von
Notfallkontrazeptiva ("Pille danach") nach Sexualstraftaten und einen
Anspruch auf Übernahme der Kosten für Untersuchungen auf sexuell
übertragene Krankheiten zu ermöglichen.
- Schutz und Unterstützung für Angehörige ermordeter Frauen.
Um Mitverantwortung auch im Raum der Kirche zu übernehmen und Gewalt an Frauen
entgegenzutreten, fordert der KDFB,
- tradierte Geschlechterbilder aufzugeben, die Frauen einseitig in die
Pflicht nehmen.
- die geltenden Narrative über Frauen zu hinterfragen und dabei die
Vielfältigkeit von möglichen christlichen Frauenbildern zu fördern.
- die (spirituelle) Selbstbestimmung von Frauen zu stärken.
- den Missbrauch an Frauen strukturell zu bekämpfen.
- katholische Gruppierungen, die ein gewaltbegünstigendes Frauenbild
fördern, von finanzieller Unterstützung auszuschließen und ggf. noch
stärker zu sanktionieren.
- tatsächliche Gleichstellung von Frauen in allen Bereichen von Kirche und
Gesellschaft und Beseitigung von existierender Diskriminierung.
Als Katholischer Deutscher Frauenbund verpflichten wir uns,
- für die Gleichstellung einzutreten sowie eine Kultur zu fördern und selbst
zu leben, die die Selbstbestimmung von Frauen achtet. In unseren
Aktivitäten schaffen wir ein Umfeld, in dem Frauen in all ihrer Vielfalt
sicher und respektiert leben können.
- unsere öffentliche Reichweite zu nutzen, um über Gewalt gegen Frauen und
Geschlechtergerechtigkeit aufzuklären. Dadurch wollen wir Bewusstsein
schaffen und Kompetenzen stärken.
- Sensibilität für kirchliche Traditionen zu fördern, die unbeabsichtigt
diskriminierend wirken oder Gewalt legitimieren könnten, und uns kritisch
damit auseinanderzusetzen.
Begründung
Gewalt gegen Frauen und Femizide sind in Deutschland ein drängendes gesellschaftliches Problem, das tief in geschlechtsspezifischen Ungleichheiten verwurzelt ist. Trotz bestehender rechtlicher Regelungen wie der Istanbul-Konvention fehlt es an ausreichenden Schutzmaßnahmen und Ressourcen, um Betroffene wirksam zu unterstützen. Femizide werden oft nicht spezifisch genug als geschlechtsspezifische Gewalt anerkannt, was eine effektive Strafverfolgung erschwert.
Verweise aus dem Antragstext:
(1): Vgl. Pineda-Madrid, Nancy (2018): Feminizid und der zerrissene Leib Christi, in: Azcuy, Virginia; Eckholt, Margit (Hg.): Friedensräume. Interkulturelle Friedenstheologie in feministisch-befreiungstheologischen Perspektiven, Ostfildern, S. 79.
(2): Vgl. Leimgruber, Ute (2021): Fürsorgliche Krankenschwestern und hingebungsvolle Mütter. Problematische Implikationen des Frauenideals bei Papst Franziskus, in: Ders.; Lohausen, Michael; Seip, Jörg; Spielberg, Bernhard (Hg.): Die Leere halten. Skizzen zu einer Theologie, die loslässt, Würzburg, S. 171-178.
(3): Vgl. Zorzi, Selene (2024): Der soziale Skandal der Gewalt gegen Frauen: Rolle und Verantwortung der Kirche, ISSR Verona, abrufbar unter: https://www.pthsta.it/media/4f7f1b32-897d-47ea-9416-937882986d64/abstract-zorzi-de-rev.pdf.
(4) Vgl. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (2021): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit (Koalitionsvertrag), Berlin, S. 80.
(5) Vgl. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (2021): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit (Koalitionsvertrag), Berlin, S. 91.
(6) Vgl. Europarat (2011): Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention), Straßburg, Art. 31.